Ich bin geboren in Riesenburg (Westpreußen) und getauft in der dortigen evangelischen Pfarrkirche kurz vor dem Ende des 2. Weltkriegs. Und gleich danach begab sich meine Familie mit mir auf den großen Treck zur Flucht nach Westen. Natürlich habe ich aus meiner Heimatstadt keine Erinnerungen, denn ich war ein Säugling, als ich die Stadt meiner Geburt verlassen hatte. Was mir blieb, das sind die Geschichten der Erinnerung an Westpreußen, die ich wieder und immer gehört habe von meinen Großeltern.
Schon seit langer Zeit trägt Riesenburg den polnischen Namen Prabuty. Und ich bin seit meiner Geburt nie wieder dort gewesen. Aber ich kann heute noch etwas aus meiner Geburtsstadt hören, und zwar die Glocke der Kirche, in der ich die Heilige Taufe empfangen habe. Und dazu erzähle ich Ihnen ein kleines Kapitel aus einer Geschichte, die ich über die Historie der Kirche gelesen habe, und zwar:
Die Riesenburger Glocke
Über 200 Jahre hat diese Glocke in Riesenburg Sonntag für Sonntag zum Gottesdienst eingeladen, bis sie gegen Ende des Zweiten Weltkrieges konfisziert wurde, um eingeschmolzen und zu Kanonen verarbeitet zu werden. Aus unbekannten Gründen hat sie jedoch auf dem Ludwigsburger Glockenfriedhof überlebt und wurde im Jahre 1952 dem Geläut der dortigen Friedenskirche zugestellt.
Erstaunlich ist die Erinnerung von Gemeindemitgliedern, dass eine Flüchtlingsfrau in den fünfziger Jahren beim Pfarramt nachfragte, ob man wisse, woher die D-Glocke auf dem Turm stamme. Sie komme ihr so bekannt vor und erinnere sie an eine Glocke ihrer Heimatkirche. Die Frau stammte aus Riesenburg!
Die ganze Geschichte der Riesenburger Glocke fand ich auch aufgezeichnet in einem ausführlichen Bericht der Evangelischen Kirche Ludwigsburg. Und bei YouTube fand ich sie dann, die heute fast 300 Jahre alte Glocke aus der Geburtskirche meiner Heimatstadt Riesenburg im Geläut der Friedenskirche von Ludwigsburg! Und das habe ich mir gerade jetzt wieder andächtig angehört und dabei an meine Großeltern gedacht und an meine Großtante aus Riesenburg, die ihre westpreußische Heimat nach ihrer Flucht niemals wieder gesehen haben. In Schmalenbeck jedoch hatten sie am Ende ihres Lebens eine zweite Heimat gefunden und ruhen dort auf dem wunderschönen Waldfriedhof.
Ach ja, und noch etwas in diesem Zusammenhang, worüber die “Ludwigsburger Kreiszeitung” am 15. Juni 2018 berichtet hat, nämlich: „Glocken schlagen jetzt leiser“. Der Grund: „Zugezogene Anwohner“ in Ludwigsburg hatten sich beschwert, dass das Geläut der dortigen Kirchen zu laut wäre. Zu diesen Kirchen gehört auch die Friedenskirche mit der 300jährigen Glocke aus Riesenburg in Westpreußen, die nicht nur Kanone geworden war.