Mira Frenzel berichtet heute auf der Titelseite der Stormarn-Beilage über wundersame Dinge aus Ahrensburg. Genauer: aus der Eiszeit im Tunneltal. Dort wurden “unter anderem” nicht nur “Knochenfragmente und Werkzeuge aus der Eiszeit gefunden”, sondern auch – man lesen und staune – “Musikinstrumente”! So jedenfalls berichtet die Reporterin.
Nach dem ersten Bericht in der Stormarn-Beilage über den “Sensationsfund im Tunneltal” hat Wolfgang König, der sich in der Geschichte von Ahrensburg recht gut auskennt, einen aufklärenden Leserbrief an die Redaktion der Stormarn-Beilage geschrieben. Dieser Brief wurde meines Wissens bis heute nicht veröffentlicht. Klar, warum sollten die Praktikanten sich ihre Sensationsstory von einem gemeinen Leser kaputtmachen lassen?!
Nun können wir spekulieren, welche “Musikinstrumente” aus der Eiszeit im Tunneltal gefunden wurden. Möglicherweise eine Flöte, die man damals aus einem Gänsegeierknochen gefertigt hat? Oder vielleicht eine Flöte aus Mammut-Elfenbein?
Eventuell ist es auch eine Drehleier, die man dort im Tunneltal gefunden hat. Eine solche stammt allerdings genauso wenig aus der Eiszeit wie Saxophon und E-Gitarre.
Gestern Abend bekam ich von Wolfgang König eine E-Mail mit bemerkenswertem Inhalt, den ich Ihnen nicht vorenthalten will, lieber Leser von Szene Ahrensburg:
Hallo, Herr Dzubilla, soeben fühlte ich mich verarscht und muss mich mitteilen. Gestern war ich an der Grabungsstelle Brauner Hirsch. Da waren an einer vorschriftsmäßigen Grabungsstelle (1 Quadratmeter) zwei Ausgräber langsam an der Arbeit. Sie konnten mir nicht sagen, weshalb sie gerade auf der Ostseite gruben und gerade da, wo auch keine Brücke errichtet werden soll. Wo dort Bohrungen mit tonnenschwerem Aushub niedergebracht worden sein sollen, wussten sie auch nicht.
Auf der anderen Seite vom Brauner Hirsch sieht es nicht nach Bohrungen aus.
Nun sah ich soeben auf RTL einen Bericht über “Ausgrabungen im Ahrensburger Tunneltal”. Nur fanden diese im größeren Umfang, so wie von der Stormarnbeilage beschrieben, nicht im Ahrensburger Tunneltal statt, sondern am Südende des Stellmoorer Tunneltales weit auf Hamburger Gebiet unter der neuen Bahnüberführung südlich der Müllberge. Ingo Clausen, Chef-Archäologe, leitete die Vorstellung mit schwarzen Rentierknochen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang König
Ich kann zumindest eine These von Hrn. König aus täglicher Nutzung des Braunen Hirschen als Pendler nach Hamburg wiederlegen: Die Brunnenbohrer waren mehrere Tage mit schwerem Gerät südlich des Braunen Hirschen aktiv (sowohl auf der Volksdorfer als auch auf der Ahrensburger Seite des Bahndamms). Auf der nördlichen Seite habe ich keinen Brunnenbohrer gesehen, sondern nur das Dixi-Klo und die genannte (kleine) Ausgrabungsstelle
Hallo,
bei dem Musikinstrument handelt es sich um ein Schwirrgerät, lt.Ingo Clausen, was immer das sein mag?
Für Clausen und seine Kollegen sind das Stellmoorer und das Ahrensburger Tunneltal ein Steinbruch von europaweiter Bedeutung, dass die selbe Wertigkeit wie der Kölner Dom und die Akropolis hat. Zitat aus dem Stormarner Tageblatt von heute.
Alfred Rust hat durch seine Ausgrabungen der 30er Jahre die weltweit bekannten Begriffe Ahrensburger Kultur und Hamburger Kultur geprägt. Auch nachzulesen in der Abteilung der Früh- und Urgeschichte, eine Etage über Nofretete im Neuen Museum in Berlin! Dieses Alleinstellungsmerkmal für Ahrensburg wird leider bislang vollkommen vernachlässigt!
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Plage
Ich habe eben das Schwirrgerät gegoogelt. Wir haben uns so etwas als Kinder gebastelt.
Gruß
Jürgen Plage
Guten Morgen! 🙂
Diese Ausgrabungen haben einen noch weitaus höheren Stellenwert:
Die Schwirrgeräte zählen lt. Wiki zu den frühen Kommunikations-Geräten:
Sie gehören zur Gruppe der “aeroPhone” – offenbar die Vorläufer der iPhone.
Und das in Ahrensburg?
Das ist mal wirklich toll!
Martin Hoefling (ganz begeistert!)
Hallo, Florian,
nur selten fahre ich mit der Regionalbahn. Ich war mehrmals an der Stelle, die in der Stormarnbeilage mit einem roten Stern gekennzeichnet war. Ich traf dann zwar ein Dixi-Klo an aber keine Ausgräber. Auf der Südseite, wo die ungewollte Brücke hinsoll, waren Spuren im Gras zu sehen, aber nichts, was auf eine Bohrung schließen ließ. Auf der Volksdorfer Seite waren auf dem Acker keinerlei Spuren von Fahrzeugen und Bohrungen zu sehen. Möglicherweise haben diese Bohrungen weiter in Richtung Hamburg gelegen. Auf einem Acker sollte man auch nicht Bohren, denn dort liegen die Fundschichten ralativ dicht unter der Oberfläche. Auf der Ostseite vom Br. Hirsch habe ich nun in die Ausgrabung geblickt. In einer Tiefe von etwa 60 Zentimetern beginnt der eiszeitliche Löß. Vielleicht findet man darin noch bis 40 Zentimetern Tiefe Artefakte. Dort wurden bisher nur ganz kleine Flintsteinabschläge gefunden. Unter dem Löß finden sich die Sander der Gletscherschmelzwasser mit möglicherweise Fossilien des Neandertalers oder des Heidelbergers (beide lebten einst in Skandinavien). Im südlichen Zwickel zwischen Bahn und Br. Hirsch waren keine Spuren von Erdaushüben zu sehen. Wo hat man die tonnenschweren Erdmassen gelassen? Wo wurden sie ausgeschlämmt? Dort gibt es kein Wasser. Die Stormarn-Beilage meinte in ihrem Bericht wohl eher die Fundstellen auf Hamburger Gebiet.
Sieben- Meter-Bohrungen machen nur Sinn, wenn sie in einem Toteisloch erfolgen, wie es Rust ca. 100 Meter nordöstlich getan hat. Es waren die Abfallgruben der Rentierjäger. Das Lager schlugen am Ufer des flachen Sees auf. Rust`s Grabungen weiter südlich in Höhe von Maiendorf, am Pinnberg, am Papenwisch und am Am Aalfang waren großflächig und flach.
Die großartigen Funde von 2015 wurden weit auf Hamburger Gebiet offenbar an der bewussten Brücke getätigt. Wahrscheinlich wurden dort auch die tiefen Bohrungen erbracht. Jedenfalls wurden dort auch die Filmaufnahmen getätigt.
Eigentlich sind vordergründig nur Sondierungsgrabungen an der Westseite der Bahnlinie, also der geplanten Trasse, wichtig. Dort befinden sich feste Böden mit geringer Fundtiefe. Auf der Ostseite würde die Bahntrasse tief bis auf gewachsen Boden ausgekoffert und dann zu einem Damm aufgefüllt werden müssen. Das kostet mehr als eine Dammanschüttung an der Westseite. Das Naturschutzgebiet bliebe geschont und dort können mögliche Fundflächen unberührt verbleiben. Ich bin gespannt auf die Expertise zum Planfestellungsverfahren, denn vorher erhalten wir wohl keine kompetenten Aussagen über Grabungsstellen und dortige Funde.
Damals auf der Baustelle Am Kratt (Kroschke-Wohnungsbau) und beim Bau des Ostringes durch die Auskohkung des Gletschermundes habe ich keine Archäologen gesehen.
Ein heißer Tipp: Grabung an der ehemaligen Halbinsel unterhalb Gut Stellmoor.
Mit grabenden Grüßen
Wolfgang König
Hallo, Herr Plage,
Herr Clausen hat recht.
Rust hatte schon 1912 Flintklingen im Aushub des Bahnhofs Hopfenbach gefunden. Für die Altersermittlung suchte vergleichbare Aufschlüsse und mögliche Fundstellen. Am Braunen Hirsch wurde er fündig. Von Kindern aus Ahrensfelde ließ er rechts und links vom Br.Hirsch am Rand des Tunneltales Flintsteinstücke aufsammeln. Nicht jeder Splitter ist ein Werkzeug. Von über 100.000 gesammlter Splittern waren wohl nur wenige tausend Artefakte. Ein glücklicher Zufall ließ ihn gleich an einem kleinen Toteisloch graben – die Müllgrube zahlreicher Jäger-Gruppen über Jahrhunderte, die am Seerand lagerten. Und diese waren nicht die einzigen Jäger-Gruppen rund um den Ahrensburger Sander (Geröllfläche vor einem Gletschermund). Die Hamburger Gruppe (wahrscheinlich ausdem Süden) siedelt wohl über Jahrtausende hier. Dann kam die Maiendorfer Gruppe (wohl aus dem Osten) über Jahrtausende. Und schließlich kam die Ahrensburger Gruppe und wurde relativ seßhaft.
Schon die Hamburger Gruppe ist der Eiskante gefolgt und erreichte wohl mit Booten um 6000 v. Chr. die Gegend um das Nordkap.
Die Rentiere zogen mit dem Vordringen der Wälder ab. Jäger folgten ihnen, andere blieben. In Jütland und S.-H. entstand die Maglemose-Kultur, Elchjäger, die sich auf die in die Wälder vordringenden Elche und Kleintiere spezialisierten. An der Norseeküste entstand die Ertebölle-Kultur, Stämme, die an der Küste lebten und bergeweise Muscheln und andere Reste von Meerestieren aufstapelten. Und alle verwendeten brüchigen Abschläge von Flintstein. Da musste ständig Ersatz gefertigt werden und es häufte sich stellenweise der Werkzeugschrott, verlorene Werkzeuge und Flintsteinbruch von Abfällen. Das ging in der Kupferzeit, in der Bronzezeit und in der Eisenzeit so weiter, denn nur die Oberschicht konnte sich die neuen Metalle leisten. Die Steinzeit ging bei uns erst zuende als hier die Bauern lernten, aus Raseneisenstein Eisen zu schmelzen und zu schmieden. Herr Clausen hat recht und Rust soll gesagt haben, dass er noch genügend Fundstellen für seine Studenten zurückgelassen hat. Und da wären noch das Wandsetal bei Siek, der Woldenhorner Teich und das Volksdorfer Tunneltal.
Man sollte das ganze Tunneltal wie die Grube Messel als Weltkulturerbe eintragen.
Mit tiefschürfenden Grüßen
Wolfgang König