Heute schreibt Martina Tabel, Kulturchefin der Stormarn-Beilage über Kunst. Genauer: bildende Kunst. Und sie versteigt sich dabei zu einer Feststellung, aus der ich ablese, dass das Kunstverständnis der Kulturredakteurin darin besteht, diktatorisch festzulegen, was Kunst ist.
Frau Tabel fabuliert: “In der Kunst ist alles möglich. In der Kunst ist alles erlaubt. Zum Glück. Kunst darf nicht nur provozieren. Sie muss es sogar, will sie nicht in Form eines tausendfach reproduzierbaren röhrenden Hirsches zur Deko verkommen.”
“Kunst muss provozieren”? “Muss”? Was für ein Unfug! Das ist genauso töricht wie die Forderung: Autofahrer müssen rasen.
Warum, Frau Tabel, muss Kunst partout provozieren, um bei Ihnen als Kunst zu gelten? Kann Kunst nicht allein erfreuen ohne Provokation? Kann Kunst nicht auch ohne Provokation nachdenklich machen? Kann Kunst nicht auch stimulieren, inspirieren und damit faszinieren?
Über Volkskunst machen Sie sich lustig. Den röhrenden Hirsch nennen Sie “Deko”. Verkommene Deko sogar. Frage: Warum ist ein Bild, das “reproduzierbar” ist, gleich Deko? Oder meinen Sie vielleicht Art-Deco? Doch warum soll diese Kunst verkommen sein…?
Wie oft, Frau Tabel, ist die “Mona Lisa” reproduziert worden. Ist das Werk von Leonardo da Vinci damit zur “Deko” verkommen, ich meine das Original…?
Niemals könnte ich einen röhrenden Hirsch auf eine Leinwand zaubern, wie es viele Maler getan haben und noch tun werden. Ich wette, Frau Tabel, Sie beherrschen diese Kunstmalerei auch nicht. Und: Die meisten Kunstwerke, die heute an den Wänden der Menschen hängen, sind reproduziert, sprich: Lithographien.
Und noch ein Absatz aus Ihrem heutigen Kommentar, Frau Tabel: “Mit dem Fettfleck von Beuys, der in den Augen von Putzleuten so wenig Kunst war, dass sie ihn wegschrubbten, hatte die zeitgenössische Kunst Ende der 80er-Jahre einen echten Glanzpunkt. 800.000 Euro – wisch und weg.”
Damit bestätigen Sie, dass Putzleute sehr wohl über Kunst zu urteilen vermögen, auch wenn sie daheim möglicherweise einen röhrenden Hirsch an der Wand hängen haben. Diese Putzleute haben damals sofort erkannt, dass Joseph Beuys mit seiner Eulenspiegelei die Menschen nicht künstlerisch erfreuen, sondern einfach bloß verarschen wollte. Und das wollten sie sich nicht gefallen lassen, die Volksvertreter, und sie haben den Nonsens weggeschrubbt. So, wie es die Putzleute im Marstall mit den Burwitz-Relikten auch ohne Aufhebens hätten tun sollen.
In den letzten beiden Absätzen Ihrer Kolumne, Frau Tabel, ziehen Sie dann ein sehr vernünftiges Fazit; aber der Einstieg in Ihren Kommentar wird viele Leser davon abhalten, bis zum vernünftigen Ende zu lesen.
“Kunst darf provozieren” wäre m.E. die treffende Aussage gewesen.
Wenn sie es wirklich müsste – auf wieviele Kunstwerke müssten wir verzichten, die schon zu Lebzeiten der Künstler oder Künstlerinnen große Anerkennung gefunden haben?
Das gilt für Musik und Literatur genauso wie z.B. für die Malerei.
Der röhrende Hirsch im Wohnzimmer, die schwebenden zartfarbigen Engelein über dem Ehebett: Das Thema “Kunst und/oder Kitsch oder pure Provokation” ist unerschöpflich – und es macht sehr viel Spaß, sich damit auseinanderzusetzen!