Szene Ahrensburg
Szene Ahrensburg
Mit Shakespeare in der Kneipe
Das Thema gehört eigentlich nicht zur Szene Ahrensburg, da es eine Geschichte ist, die sich mit Leuten beschäftigt, die das, was unter ihrem Namen erschienen ist, gar nicht verfasst haben. Und im Rahmen von zu Guttenberg ist mir eingefallen, dass ich diese Story dermaleinst geschrieben habe in meinem Buch „Zwei Handbreit unterm Nabel“.
Aber lesen Sie die Geschichte, die aus einem Dialog besteht, doch selber! Immerhin hat sie sich in einer Ahrensburger Kneipe abgespielt und ist betitelt:
Mit Shakespeare in der Kneipe
Gespräche unter Männern, die in einer Kneipe stattfinden, haben selten einen hohen literarischen Wert. Ich weiß heute auch nicht mehr, wie wir damals eigentlich auf Shakespeare gekommen sind, mein Freund Achim und ich, als wir an der Theke vom »Milljöh«, unserer Lieblingskneipe, standen und uns über Gott und die Frauen unterhielten. Vielleicht resultierte Shakespeare aus dem phonetischen Gleichklang von peare und Bier, was uns an William denken ließ. Oder waren es die Maß für Maß, die wir getrunken hatten…?
Egal. Irgendwann jedenfalls hob Achim sein Glas auf Shakespeare und sprach: »Cheers, William, warst ’n echtes Genie!«
»Du irrst, Alter!«, unterbrach ich die Begeisterung meines Freundes. »William Shakespeare hat nicht eines der ihm zugeschriebenen Werke selber geschrieben!«
»Hä?« machte Achim und erkundigte sich mit offensichtlichem Misstrauen: »Jetzt willst Du mich aber auf den Arm nehmen, was?!«
Daraufhin erzählte ich Achim die Kurzfassung der Geschichte von William Shakespeare, dem englischen Schauspieler, der von 1564 bis 1616 gelebt und England nie verlassen hat. Somit konnte er weder den Kaufmann von Venedig geschrieben haben noch Macbeth oder andere Stücke.
»Wieso«, meinte Achim, »Karl May hat auch über Winnetou und Hadschi Halef Omar geschrieben, ohne zuvor einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt zu haben, geschweige denn, dass er den Orient besucht hätte!«
»Mit dem Unterschied, dass Karl May so ziemlich exakt 300 Jahre nach Shakespeare die Feder aus der Hand gelegt hat! Der sächsische Old Shatterhand konnte also nicht nur Zeitung lesen, sondern hat eine umfangreiche Bibliothek zur Verfügung gehabt!«
»Und wer hat sie dann geschrieben, die ganzen Dramen, Tragödien und Komödien, die Shakespeare angeblich nicht geschrieben haben soll …?«
»Das waren zwei Grafen, die gleichzeitig Freunde waren: Der Earl of Rutland und der Earl of Southampton. Beide haben zusammen in Padua studiert. Und wenn man die Lebenswege der zwei Adelsmänner weiter verfolgt, dann wird auch klar, warum es bei Shakespeares Werken so unterschiedliche Schaffensperioden gegeben hat. Die düstere Periode beispielsweise entstand, nachdem die Grafen im Tower einsaßen wegen ihrer Teilnahme an der Essex-Verschwörung.«
»Könnte auch Zufall sein«, überlegte Freund Achim abschätzig und schien nicht so recht überzeugt zu sein von dem, was ich ihm da erzählte.
»Es gibt sehr viele weitere Indizien«, fuhr ich fort und erläuterte: »Das Stück ›Venus und Adonis‹ zum Beispiel ist dem Earl of Southampton gewidmet, also dem Freunde des Earl of Rutland. Und nach 1623 hat es bei Shakespeare keinerlei Textveränderungen mehr gegeben, was kein Wunder ist: Southampton starb 1624! Und nach 1611 erschien keine Komödie mehr, der ›Sturm‹ war die letzte. Grund: Rutland starb 1612.«
»Indizien«, sagte Achim, »nichts als Indizien!« Er hob sein Glas und meinte: »Ne, Alter, du kannst viel erzählen, aber du warst doch gar nicht dabei, damals!«
»Damals«, fuhr ich in meiner Beweisführung fort, »damals war ein Zeitalter, in dem jeder halbwegs begabte Mensch geschrieben und gedichtet hat! Die Königin genauso wie König Jakob, der Broschüren schrieb und theologische Traktate. Essex, Raleigh, Pembroke, Bacon, sie alle schrieben und schrieben – nur die beiden hoch bedeutenden, schöngeistigen und kunstverständigen Grafen Rutland und Southampton, die sollen keine einzige Zeile veröffentlicht haben …?!«
»Hm«, sagte Achim, überlegte und wollte wissen: »Welches Interesse hätten die beiden Earls denn damals gehabt, sich hinter dem Schauspieler Shakespeare zu verstecken?«
»Der Argwohn der Königin, mein Lieber! Queen Elizabeth, die damalige, hätte es den beiden Autoren höchst übel genommen, genauso wie auch all die Freunde und Bekannten der Grafen, die als Personen in den Dramen figurieren.«
Und ich berichtete meinem Freunde Achim von dem, was ich mir sonst noch angelesen hatte zu diesem Thema. Zum Beispiel, dass Shakespeare keine ausgedehnten Kenntnisse in der Juristerei haben konnte, während die beiden Grafen ihr Studium der Jurisprudenz gewidmet hatten. Außerdem: Romeos und Southamptons Mutter war nicht zufällig eine Montague! Und der Falstaff, eine Figur, die Shakespeare darstellt – warum hätte der sich selbst verspotten sollen?! Am Ende aber steht die große Frage, die zugleich die Antwort ist: »Wie erklärt es sich, dass von William Shakespeare nichts Handschriftliches hinterblieben ist außer den zwei Wörtchen ›by me‹ vor der Unterschrift in seinem Testament?!«
Achim grinste. »Vielleicht, weil er seine gesammelten Werke seiner Sekretärin diktiert hat …?«
»So wird es denn wohl gewesen sein, Alter. Oder der gute William hat alles direkt in seinen PC geschrieben!« Resignierend erhob ich mein Glas, wir prosteten einander zu und bestellten uns dann gegenseitig noch einen Jägerkleister.
»Aber nur einen wönzigen Schlock!« rezitierte Achim aus »Die Feuerzangenbowle«. Woraufhin ich ihm erzählte, dass dieser Roman zum gleichnamigen Film gar nicht von dem Rechtsanwalt Heinrich Spoerl (1887–1955) stammt, sondern vielmehr verfasst worden ist von dem sächsischen Schriftsteller und Kabarettisten Hans Reimann (1889–1969), der auch an »Wenn wir alle Engel wären« federführend beteiligt gewesen ist.
»Is’ ja ’n Ding!« staunte Achim. Und wir tranken noch einen wönzigen Schlock, dem wir ein Pils hinterherschickten. Dann setzte Achim das Thema fort: »Dass die berühmte ›Ilias‹ eine Sammlung von Liedern fahrender Sänger war und es den ollen Homer möglicherweise nie gegeben hat, weiß doch jedes Schulkind.«
»Stimmt«, pflichtete ich dem Freunde bei. »Allerdings stammt diese Ansicht aus dem 19. Jahrhundert, und heute gilt der alte Grieche schon wieder als historische Person. Andere Zeiten, andere Meinungen!«
Achim: »Es gibt auch berühmte Maler, die haben gar nicht alle ihre Bilder gemalt, sondern sie signierten die Werke ihrer Schüler! Und genauso wie Hitler seine Memoiren geschrieben hat, hat auch Dieter Bohlen seine Songs gesungen!«»Heute schreibt doch sowieso kein Mensch mehr – hicks – selbst«, beschwerte sich Achim, »weder die Promis ihre Bücher noch die Politiker ihre Reden! Alle haben ihre – hicks – Ghostwriter!«
»Stimmt, Alter! Genauso wie die Schauspieler ihre Stuntmen haben, von denen sie in schwierigen Szenen gedoubelt werden! Und in der Wirtschaft – hicks – ist es doch auch so, dass die Manager gar nicht selber arbeiten – dafür haben sie ihre Mitarbeiter! Und sie gehen auf den Golfplatz – hicks – und lassen sich am Arbeitsplatz doubeln von freien Beratern, die sich dann gegenseitig beraten und die Mitarbeiter verunsichern!« Ich sprach aus eigener Erfahrung.
Mein Freund Achim aber und ich, wir hoben unsere Gläser noch eigenhändig, benötigten dazu keine Doubles. Irgendwann benötigten wir dann aber ein Taxi, um das häusliche Bett zu erreichen. Ein letztes Glas noch auf die gegenseitige Freundschaft – und wir machten uns auf den getrennten Heimweg.
Als ich in dunkler Nacht nach Hause kam und in mein Bett schwanken wollte, da bemerkte ich durch den alkoholischen Schleier, der vor meinen Augen schwebte, dass ein fremder Typ neben meiner Frau lag. In meinem Bett! Das machte mich stutzig, in der Tat. Doch ich war in diesem Moment viel zu müde, um noch lange zu stutzen; also ging ich ins Wohnzimmer und schlief dort auf der Couch ein.
Am nächsten Morgen, mein Kopf war noch etwas benommen, da kam ich an den Frühstückstisch und stutzte schon wieder. Dort saß nämlich – auf meinem Platz! – der fremde Typ aus meinem Bett. »Wer ist dieser Herr?« begehrte ich von meiner Ehefrau zu erfahren. »Das ist Mike«, sprach sie, »dein Stuntman!« Und meine mir Angetraute klärte mich auf: »Mike vertritt dich immer, wenn du in so schwierigen Situationen bist wie gestern Abend in der Kneipe.«
Montag, 21. Februar 2011